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Studie der Union-Investment zur Infrastruktur in Deutschland:

„Leben von der Substanz“

Frisch aufs Neue akademisch bestätigt: Der Investitionsbedarf in Deutschland ist gigantisch, und ohne privates Geld wird es nicht gehen. Genaues weiß übrigens niemand – weil es schlicht nicht erfasst wird. Aber: Der Bedarf allein wird es kaum richten in Deutschland – wie erst jüngst aus berufenem Munde geunkt wurde. Denn muss heißt noch lange nicht wird.

In Deutschland besteht erheblicher Investitionsbedarf in die Infrastruktur, das ist jedermann seit langem bekannt und betrifft v.a. die Sanierung und den Ausbau von Straßen, Brücken, Schienen sowie Investitionen in digitale Infrastruktur, erneuerbare Energien und Leitungsnetze.

Nun bestätigt eine Studie, die Professor Lars P. Feld von der Universität Freiburg zum öffentlichen Investitionsbedarf im Auftrag von Union Investment erstellt hat, dass allein für Autobahnen, Eisenbahn und Energieinfrastruktur in den kommenden zehn Jahren rund 400 Mrd. Euro benötigt werden.

Keine systematische Erfassung …

Der Gesamtbedarf dürfte allerdings noch höher sein, schätzt Feld, da es bislang keine übergreifende, systematische Erfassung von Infrastrukturaufwendungen und dem Gesamtbedarf gebe. Ein Grund: Einen großen Teil der staatlichen Bauinvestitionen tragen die Kommunen.

„Es bleibt unklar, wie viel tatsächlich in die öffentliche Infrastruktur investiert wird und wie hoch der gesamte Investitionsbedarf im Bereich der staatlichen Infrastruktur ist. Hinzu kommt, dass es aufgrund des föderalen Systems in Deutschland nicht eine große Investitionslücke, sondern multiple Investitionsbedarfe in verschiedenen föderalen Verantwortungsbereichen gibt“, betont Studienleiter Feld.

Lars Feld, Universität Freiburg.

Aus eigener Kraft dürfte der Staat die Ausgaben kaum stemmen können, und private Investitionen über gezielte Fondsmodelle können laut der Untersuchung hier einen wertvollen Beitrag leisten. „Als Kapitalsammelstelle bringen Fondsgesellschaften das vorhandene Geld dahin, wo es eingesetzt werden sollte. Deswegen werden sie künftig eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von Infrastruktur spielen“, betont Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender der Union Investment.

Die Union rechnet vor: 2022 betrug die Investitionsquote aller Gebietskörperschaften zusammen 2,6% des realen BIP (0,8% Bund und Länder; 1,0% Gemeinden). Damit liegt die derzeitige Investitionsquote Deutschlands etwa ein Prozentpunkt unter dem durchschnittlichen Wert der OECD-Länder. „Über den tatsächlichen Bedarf sagen diese Zahlen aber wenig aus. Die staatlichen Investitionen in Deutschland reichen seit langem nicht mehr, um den Bestand zu sichern“, fasst Feld zusammen und bilanziert: „Deutschlands Infrastruktur lebt fast nur noch von ihrer Substanz“.

doch Orientierung gibt es durchaus

Wenngleich niemand einen Gesamtüberblick hat, können die benötigten Summen in den drei zentralen Bereichen Straßen-, Bahn- und Energieinfrastruktur eine Orientierung bieten, so die Union, und sie rechnet vor:

Basierend auf aktuellen Angaben des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr wird der Investitionsbedarf alleine für die Straßeninfrastruktur des Bundes (also Autobahnen und Bundesfernstraßen), für die Jahre 2025 bis 2028 auf über 57 Mrd. Euro geschätzt. Der Bedarf für die Bahn im gleichen Zeitraum: 63 Mrd. Euro (beides zusammen entspricht also dem ungefähren jährlichen Steuerzuschuss in die gRV, der nötig ist, nur damit diese nicht auf der Stelle zusammenbricht, Anm.d.Red.). Und für die Energieinfrastruktur liegt der geschätzte Investitionsbedarf aufgrund der Energiewende bei On- und Offshore-Anlagen bei bis zu 270 Mrd. Euro bis 2037.

Sind staatliche Projektgesellschaften die Lösung?

„Angesichts des hohen finanziellen Bedarfs ist es notwendig, die Potenziale privaten Kapitals zu erschließen“, ist Feld überzeugt. Eine Alternative zu früheren Ansätzen bei der Generierung privater Mittel sieht er in der Finanzierung durch Infrastrukturfonds. Über sie könnten private und institutionelle Investoren auch in staatliche Projektgesellschaften investieren, die für Bau, Betrieb und Verwaltung öffentlicher Infrastruktur zuständig sind. Diese hält Feld für eine zentrale Stellschraube bei der Lösung des Problems. Allerdings nur, wenn deren Rahmenbedingungen angepasst würden.

Quelle: Union Investment. Grafik zur Volldarstellung anklicken.

In Deutschland existieren bereits in verschiedenen Bereichen privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaften, an denen der Staat beteiligt ist und die die Instandhaltung und den Aus- oder Umbau öffentlicher Infrastruktur planen, organisieren und durchführen – bspw. die Autobahn GmbH oder die DB InfraGO AG. „Werden diese Gesellschaften mit bestimmten Kompetenzen wie eigener Einnahme- oder Kreditfähigkeit ausgestattet, könnten attraktive Geschäftsmodelle entstehen, die sich als Anlageobjekte für entsprechende Fonds anböten“, so Feld. Im Bereich der Energie sieht der Experte eine Lösung in der Gründung einer übergeordneten Netz-Infrastrukturgesellschaft, die die staatlichen Beteiligungen an den Übertragungsnetzbetreibern bündelt und in die dann Geldgeber investieren könnten.

Werden Fondsgesellschaften die ihnen zugedachte Rolle spielen wollen?

„Eine funktionierende Infrastruktur ist die Basis für eine wachsende Wirtschaft und den Wohlstand unseres Landes“, ist auch Reinke überzeugt. Dass es hier deutlichen Handlungsbedarf gibt, zeigt auch eine Untersuchung des World Economic Forum. Demnach ist Deutschland in der Qualität der Infrastruktur im internationalen Vergleich von Rang drei 2006 auf Rang zwölf 2018 gerutscht.

Hans Joachim Reinke, Union Investment.

Daher sei es unerlässlich, die Finanzierungsbasis im Infrastrukturbereich breiter aufzustellen, so Reinke. „Fondsgesellschaften werden bei Investitionen in Infrastruktur eine wichtige Rolle spielen. Denn als Kapitalsammelstelle bringen wir das vorhandene Geld dahin, wo es eingesetzt werden sollte.“ Dies stamme zwar hauptsächlich immer noch von institutionellen Anlegern, jedoch sei Infrastruktur kein Thema ausschließlich für Profis, sagt Reinke mit Blick auf die noch jungen . Nrfür bietet die überarbeitete und seit diesem Jahr anwendbare Verordnung für ELTIFs.

Fazit von ALTERNATIVESINDUSTRIES

Was die Studie ermittelt hat wird niemanden überraschen, doch ist jeder Beitrag, der das Problem systematisiert und quantifiziert hilfreich. Dass Deutschland bei der Bewältigung der Aufgabe ohne privates Kapital chancenlos sein wird, ist an sich auch sattsam bekannt. Und auch deutsche Pensionsinvestoren gibt es viele, die in Infrastruktur investieren.

Begraben liegt der Hund also woanders, denn: Die Kardinalfrage ist, ob – Stand heute – dieses private Kapital überhaupt bereit sein wird, in dieses Deutschland mit seiner Lage und v.a. Perspektive zu investieren – wo es doch auf dieser Welt vielversprechende Anlagemöglichkeiten ebenso zu Genüge gibt wie eine professionelle, internationale Asset Management-Industrie, der sehr genau weiß, wo sie ihre Mittel am besten investiert:

Quelle: Union Investment. Grafik zur Volldarstellung anklicken.

Wie sagte noch dieser Tage jemand, der es wissen muss, wobei doch Leute seines Schlages an sich selten so offene Worte wählen? Prof. Christian Kaeser, Global Head of Tax der Siemens AG, sprach es bei einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag ungewohnt unverhohlen aus:

„Es gibt eigentlich nichts, was dafür spricht, in Deutschland zu investieren.“

Wenn der Steuerchef eines der größten und ältesten deutschen Konzerne so etwas den deutschen Parlamentariern unverblümt ins Gesicht sagt – welcher private oder institutionelle Anleger, welche Fondsgesellschaft sollte denn dann einen Grund haben, hier ihr Geld anzulegen? Welcher Pensionsinvestor, der Rentenansprüche zu bedienen hat, sollte das tun? Nur wegen der schieren Größe des Investitionsbedarfs sind oder werden die Investitionsbedingungen nicht zwangsläufig gut. Im Gegenteil, vielleicht ist der Bedarf eben deshalb so hoch, weil die Bedingungen so schlecht sind, wie Kaeser sagt? Man vergesse jedenfalls ein kassandrisches Prinzip des Politischen nicht, das so alt ist, wie es staatliche Strukturen auf dieser Welt gibt:

Nur weil sich etwas ändern MUSS, heißt das noch lange nicht, dass sich auch etwas ändern WIRD.

Das Studienbooklet Felds findet sich hier.

Die zugehörige Präsentation Felds findet sich hier.

Die Präsentation Reinkes findet sich hier.