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BRSG 2.0-E (IX) – Änderungen in der AnlV:

Droht die Bruchlandung bei der Betriebsrentenreform?

Die politische Absicht, die Anlageverordnung zu flexibilisieren, ist begrüßenswert, die geplante Umsetzung vielversprechend, doch der Nachbesserungsbedarf offenkundig. Konkret mangelt es an klaren Vorgaben, und Unbestimmtes lässt sich nicht mit Unbestimmtem definieren. Der Booster für Investitionen in Infrastrukturprojekte und Risikokapital droht an handwerklichen Mängeln zu scheitern, schreiben Alexander Vogt und Lukas Hüttemann von Linklaters.

Alexander Vogt, Linklaters.

Höhere Betriebsrenten bei Pensionskassen sind das ausgewiesene Ziel des aktuell kursierenden Referentenentwurfs. Dies soll u.a. mit regulatorischen Erleichterungen für deren Kapitalanlage in Infrastrukturprojekte und Risikokapital erreicht werden, also Investitionen, die ohnehin gesellschaftlich dringend benötigt werden – ein Win-Win.

Aufgrund erheblicher Rechtsunsicherheiten droht der aktuelle Gesetzesentwurf allerdings zur Bruchlandung zu werden. Damit würde eine Chance verpasst werden, privates Kapital dahin zu lenken, wo es dringend benötigt wird und den Staatshaushalt entlasten kann. Doch der Reihe nach:

Am 27. Juni 2024 ist der Referentenentwurf (Ref-E) des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze“ (2. Betriebsrentenstärkungsgesetz) zur Stellungnahme an einschlägige Fachverbände gegangen.

Der Ref-E fügt sich ein in die aktuelle gesellschaftliche und politische Debatte über die Tragfähigkeit des gesetzlichen Rentenmodells, im Zuge dessen das Kabinett erst kürzlich im sog. Rentenpaket II das Festschreiben des Rentenniveaus in Höhe von 48% vom aktuellen Durchschnittsverdienst aller Versicherten beschlossen hat (d.h. eine versicherte Person erhält eine Mindestrente in Höhe von 48% des aktuellen Durchschnittsverdienstes aller Versicherten, sofern sie in 45 Beitragsjahren stets durchschnittlich verdient hat).

Die bAV als eine Form der Ergänzung der gesetzlichen Rente soll nach dem Willen der Ampel nun gestärkt werden. Eine vielversprechende Maßnahme hierzu ist die geplante Erweiterung der Anlagevorschriften für Pensionskassen. Hierfür soll das für diese Form der kapitalgedeckten Rente einschlägige regulatorische Regelwerk, die Anlageverordnung (AnlV), flexibilisiert werden.

Bis zu zehn Prozent mehr Risikoneigung in der Anlageverordnung

Lukas Hüttemann, Linklaters.

Pensionskassen sind nach der AnlV verpflichtet, ihre Anlagen zum einen nach allgemeinen und besonderen Eligibilitätskriterien auszusuchen und zum anderen zu mischen, d.h. in verschiedene Anlageklassen zu investieren. Hierbei sind für verschiedene Anlageklassen bestimmte Quoten vorgesehen, um ein breit diversifiziertes Portfolio ohne Übergewichtungen einzelner Anlageklassen nach einem gesetzlichen Leitbild aufzubauen.

Der Ref-E sieht zwei Änderungen vor, die zusammen einen durchaus wesentlichen Einfluss auf die künftige Zusammensetzung und Risikoneigung der Vermögensanlage bei Pensionskassen haben dürften:

• Zum einen ist eine Anhebung der sog. Risikokapitalquote vorgesehen. Den Vorgaben der AnlV folgend besteht das anzulegende Vermögen deutscher Pensionskassen bisher zu maximal 35% (und damit zu einem erheblich geringeren Anteil als bei vielen vergleichbare Investoren im Ausland) aus Eigenkapital und eigenkapitalähnlichen Investments. Der Ref-E sieht eine Anhebung der Risikokapitalquote auf 40% vor. Das ist begrüßenswert und bedeutsam. Denn die Risikokapitalquote definiert das maximal zulässige Exposure aus einer ganzen Reihe unterschiedlicher Anlageklassen – u.a. aus gelisteten Aktien, Beteiligungen, Genussrechten, nachrangigen Darlehen sowie aus Kredit- und Hedgefonds. Die Anhebung der Risikokapitalquote würde mehr Flexibilität im Bereich Eigenkapital und eigenkapitalähnliche Investments eröffnen – und damit eine höhere Rendite ermöglichen.

• Zum anderen sieht der Ref-E die Einführung einer neuen Quote für direkte und indirekte Anlagen zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten vor (sog. Infrastrukturquote). Anlagen, die die Kriterien der Infrastrukturquote erfüllen, sollen im Umfang von bis zu 5% des anzulegenden Vermögens nicht auf eine andere Quote angerechnet werden. Auch diese Änderung ist sehr zu begrüßen, zumal der Ausbau der Infrastruktur z.B. im Bereich der erneuerbaren Energie eine grundlegende Voraussetzung für das Erreichen der CO2-Neutralitätsziele ist und dafür zwingend und dringend Investitionen aus der Privatwirtschaft nötig sind. Zudem sind Infrastrukturinvestments oft sehr langläufig und damit gut geeignet, die Anlageziele von Pensionskassen zu erfüllen, nämlich die Deckung von langfristigen Pensionsrisiken. Ferner würden neue Spielräume für die Portfolioallokation bei Pensionskassen eröffnet: Infrastrukturanlagen, die bisher anderen Quoten – etwa auf der Quote für Anlagen in Unternehmensbeteiligungen – zugerechnet werden, könnten auf die neue Infrastrukturquote umallokiert werden und damit „Platz“ für neue quotenspezifische Anlagen (z.B. in Private Equity und Private Debt) schaffen. Addiert man hierzu die Anhebung der Risikokapitalquote um 5 Prozentpunkte, könnte man von einer Erhöhung der Risikoneigung um satte 10% sprechen.

Vielversprechend mit Nachbesserungsbedarf

In der Tat sind die geplanten Änderungen der Regelungen für die Kapitalanlage von Pensionskassen vielversprechend, um das gesetzgeberische Ziel höherer Renditen und damit höhere Betriebsrenten bei Pensionskassen zu erreichen.

Gravierend ist allerdings der handwerkliche Nachbesserungsbedarf, um dieses Ziel aufgrund von rechtlichen Unsicherheiten nicht zu verfehlen.

Nicht im deutschen Recht implementierte Definition

Nach dem derzeitigen Gesetzeswortlaut ist ein Infrastrukturprojekt ein Projekt „zur Bereitstellung, zum Ausbau, zum Betrieb oder zur Erhaltung eines umfangreichen Vermögenswerts.“

Die Definition ist der deutschsprachigen Fassung der europäischen Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATAD) entliehen, wobei die Definition dort im Kontext eines für Mitgliedsstaaten optional umzusetzenden Aspekts fällt, der letztlich nicht in das deutsche Recht implementiert und dort daher auch keine weitere Konkretisierung erfahren hat. Dabei ist eine praktikable Definition des Begriffs zentral, um die geplanten Spielräume bei der Kapitalanlage künftig nutzen zu können.

Erläutert wird der Begriff des „Vermögenswerts“ in der Gesetzesbegründung wenig hilfreich mit einem wiederum unbestimmten Rechtsbegriff. Demnach sollen Vermögenswerte gemeint sein, „die als im allgemeinen öffentlichen Interesse stehend anzusehen sind“. Einschlägige Fachliteratur und Rechtsprechung füllen ganze Bücher zur Auslegung des „öffentlichen Interesses“. Konsens besteht jedenfalls insoweit, als dass der Begriff unbestimmt ist und er abhängig vom jeweiligen Kontext unterschiedlich auszulegen ist.

 

 

Welche im öffentlichen Interesse stehende Vermögenswerte sollen nun von der Infrastrukturquote umfasst sein?“

 

 

Einen solchen Kontext liefert der Ref-E nicht, der die geplanten gesetzlichen Änderungen lediglich mit dem Ziel verknüpft, höhere Renditen und damit höhere Betriebsrenten zu erzielen.

Welche im öffentlichen Interesse stehende Vermögenswerte sollen nun von der Infrastrukturquote umfasst sein? Stehen in Zeiten der Energietransformation etwa Unternehmen, die Kohlekraftwerke oder Tankstellen für Verbrennermotoren betreiben, im öffentlichen Interesse? Oder sind Anlagen in solche Unternehmen derzeit noch im öffentlichen Interesse, aber bald nicht mehr? Zählt schon ein privater Solaranlagehersteller oder ein Automobilhersteller als Infrastrukturprojekt, und steht die Anlage in den Automobilhersteller nur dann im öffentlichen Interesse, wenn dieser etwa einen gewissen Anteil an Elektrofahrzeugen oder eigene Batterien herstellt? Stehen mit Blick auf das De-Risiking oder gar De-Coupling von China Anlagen in chinesische Projektbetreiber im öffentlichen Interesse?

Außerdem: Ab welcher Schwelle soll ein Vermögenswert zu einem „umfangreichen“ Vermögenswert qualifizieren? Dieser in der deutschsprachigen Fassung der ATAD gewählte Begriff für „Large-Scale Asset“ (so lautet der relevante englische Terminus in der ATAD) mutet nicht nur sperrig an, die Gesetzesbegründung gibt auch keinen näheren Aufschluss zur Interpretation dieses Begriffs. Erfordert nun etwa die Anlage in einen Windparkbetreiber eine Mindestzahl an betriebenen Windkraftanlagen, damit der Windparkbetreiber als „umfangreicher“ Vermögenswert qualifiziert?

 

 

Sollen wirklich solche Anlagen nicht unter die Infrastrukturquote fallen, in denen ein deutscher Projektbetreiber für ein Infrastrukturprojekt im EU-Ausland tätig wird?“

 

 

Unklar bleibt letztlich auch die Passage in der Gesetzesbegründung, wonach der Projektbetreiber in einem Staat nach Maßgabe der jeweiligen gesetzlichen Anlageform ansässig und der betriebene Vermögenswert in eben diesem Staat belegen sein soll. Das verpflichtende geographische Zusammenfallen von Ansässigkeit des Projektbetreibers und Belegenheitsort des Infrastrukturprojekts wird mit Blick auf die europarechtlich verankerte Dienstleistungsfreiheit wohl kaum gemeint sein. Oder sollen wirklich solche Anlagen nicht unter die Infrastrukturquote fallen, in denen z.B. ein deutscher Projektbetreiber für ein Infrastrukturprojekt im EU-Ausland tätig wird? Wie ist diese Passage im Ref-E außerdem für indirekte Anlagen, etwa über Investmentfonds, zu verstehen, wo es im regulatorischen Rahmenwerk gar keine Anforderungen an die Ansässigkeit des Projektbetreibers gibt?

Eingeschränkt gelebt, ohne Effekt?

In dieser Form droht das Gesetzesvorhaben in der Praxis ohne Effekt zu bleiben. Mit Blick auf die konkreten Rechtsrisiken, die für Pensionsfonds mit einer Fehlinterpretation der geänderten AnlV einher gehen würden, steht zu befürchten, dass die geänderten Anlagevorschriften von Pensionsfonds nur eingeschränkt gelebt werden würden.

Infrastruktur als komplexe Asset-Klasse. Foto: Baz

Ganz gleich, wie man die oben aufgeworfenen Fragen beantworten mag, Rechtsklarheit schaffende Nachbesserungen würden dem gesetzgeberischen Anliegen die passenden (und im öffentlichen Interesse notwendigen) Flügel verleihen.

Alexander Vogt ist Partner im Bereich Investmentfonds bei Linklaters LLP in Frankfurt.

Dr. Lukas Hüttemann ist Managing Associate im Bereich Investmentfonds bei Linklaters LLP in Frankfurt.

Von Linklaters-Autoren sind zwischenzeitlich bereits auf PENSIONSINDUSTRIES / ALTERNATIVESINDUSTRIES erschienen:

Änderungen in der AnlV:
Droht die Bruchlandung bei der Betriebsrentenreform?
von Alexander Vogt und Dr. Lukas Hüttemann, 5. August 2024

Unternehmensliquidation und Betriebsrentner:
Garantie gibt dir einer …
von Dr. Rene Döring, Dr. Johannes Heiniz und Torsten Weißmeier, 24. November 2023

Zinsen senken ohne Nebenwirkungen?
Der finale Schnitt
von Dr. René Döring, 19. Juli 2021

Anm. d. Red.: Zuweilen kommt es vor, dass in den Medien dieser Gruppe Beiträge erscheinen, die für die Leserschaft von PENSIONSINDUSTRIES wie auch für die von ALTERNATIVESINDUSTRIES interessant sind (wobei es zwischen beiden Leserschaften ohnehin eine erhebliche Schnittmenge gibt). Wenn dies der Fall ist, wird in den Medien querverwiesen. Besagte Schnittmenge der Leserschaft erhält an solchen Tagen also – Pardon – zwei identische Newsletter.