In Deutschland hat die Hunderte Millionen schwere Northvolt-Pleite nur nachrangige Schlagzeilen gemacht, schlicht weil die Kadenz der Negativschlagzeilen aus der Wirtschaft viel zu hoch ist und ständig weiter steigt. In Schweden sieht das anders aus, die Empörung ist groß. Bemerkenswert: Mit im Boot des Desasters sitzen lokale Pensionsinvestoren. Noch bemerkenswerter: Welcher gute Bekannte des nordischen Pensionswesens explizit nicht dabei war, wer sich in Schweigen hüllt – und wer welchen Verdacht hegt. Aus Stockholm berichtet Reiner Gatermann.
Wir schreiben das Jahr 2017: Wieder einmal will Schweden ganz Europa, aber auch der Welt zeigen, wo es lang geht. Diesmal mit grünen Batteriefabriken, die Europa unabhängig von China machen sollten. „Alle“ waren dabei: Natürlich der schwedische Staat, die EIB (also die Investmentbank der EU), Volkswagen mit rund 20% als der größte Anteilseigner, BMW, prominente Schweden aus Wirtschaft, Finanz und Unterhaltung und – nicht zuletzt – schwedische Rentenfonds sowie eine dänischer Versorgungseinrichtung. Aushängeschild des vermeintlichen Zukunft-Unternehmens: der ehemalige Tesla-Manager Peter Carlsson – als Mitgründer, Mitfinancier (6,9%) und CEO.
Sieben Jahre später, im Jahre des Herrn 2025, sieht alles ganz anders aus. Alle haben es gelesen, gehört und auf den Schirmen gesehen: Northvolt ist pleite! Das Management, die Belegschaft, die schwedische Regierung, die Investoren – sämtlich in tiefer Trauer. Wie konnte dieses fantastische Projekt, „grüne Batterien für einen blauen Planeten“ zu bauen, so schiefgehen?
Magnus Henrekson, Volkswirtschaftler und Professor am Institut für Wirtschaftsforschung, hatte gegenüber schwedischen Medien eine Antwort seit langem parat: „Man hatte es zu eilig und wusste ganz einfach nicht, wie man eine Batteriefabrik baut.“
Viele Verlierer

Jetzt steht man vor einem Scherbenhaufen: Über 100 Mrd. SEK (gut 9 Mrd. Euro) an Investitionen in den Sand gesetzt. Über 90 Mrd. SEK (gut 8 Mrd. Euro) Schulden, das noch vorhandene Kapital um fast das Doppelte übersteigend. Rund 5.000 Beschäftigte, aus aller Welt angeheuert, die vor einer ungewissen Zukunft stehen. Lieferanten, die den Verdacht hegen, von Northvolt noch Aufträge bekommen zu haben, obwohl die prekäre Situation dem Management bekannt war. Eine kleine Stadt in Nordschweden, Skellefteå, rund 800 km von Stockholm und knapp 40 000 Einwohner (in der Region 80 000), die enorme Beträge in die Infrastruktur und in den Wohnungsbau investiert hat … und nicht zuletzt Rentenfonds, deren realistisch handelnden Kapitalverwalter ihren Einsatz bereits auf null abgeschrieben haben.
Die Pensionsinvestoren: halb zog man sie, halb sanken sie hin?
In diesem „größten Desaster der modernen schwedischen Industriegeschichte“, wie man es sinngemäß in der öffentlichem und politischen Diskussion häufig vernehmen kann, sieht einiges danach aus, als ob die Rentenfonds ihr eigenes Kapitel schreiben können. Die schwedische Partei der Moderaten (in etwa der CDU entsprechend), die derzeit den Ministerpräsidenten stellt, hat sich mit einer Anzeige an den Konstitutionsutskottet, den parlamentarischen Verfassungsausschuss gewandt. Die Moderaten hegen den Verdacht, dass die damalige rot-grüne Regierung unter Führung der Sozialdemokratin Magdalena Andersson die Rentenfonds und den staatlichen Energieversorger Vattenfall gedrängt habe, in Northvolt zu investieren.
Ein solches Agieren wäre laut Fondssatzung nicht zulässig. Denn: Deren Investitionsbeschlüsse dürfen keine Rücksicht auf industrie- und wirtschaftspolitische Gegebenheiten nehmen.
Klar ist aber: Die Vorarbeit für eine eventuelle Beeinflussung von Fonds-Entscheidungen wurde bereits 2019 geleistet. Die rot-grüne Regierung änderte die Satzungen der AP-Fonds, der sog. Pufferfonds, die die Beiträge für die allgemeine Rente verwalten, dahingehend, dass sie künftig auch in nicht-notierte Papiere investieren können, was bisher wegen eines angenommenen hohen Risikos nicht zulässig war.
Laut der konservativen Tageszeitung Svenska Dagbladet soll dieser Beschluss entgegen dem Willen von Beamten des Finanzministeriums und den betroffenen Fonds durchgesetzt worden sein. Die Fonds hätten argumentiert, für diese neue Aufgabe nicht die nötige Kompetenz zu haben. Die Regierung sah diesen Schritt als eine „auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Investitionsalternative“, was völlig ihrer politischen Linie entsprach. Die Zeitung will zudem aus dem Finanzministerium erfahren haben, dass man in der Regierungskanzlei „deutlich das Gefühl hat, dass sowohl die AP-Fonds als auch Vattenfall erst auf ein starkes Drängen der Politik reagiert haben“.

Zudem sind die vier Geschäftsführer der AP-Fonds nun auch vor den Rechtsausschuss des Parlaments bestellt worden. Es besteht der Verdacht, dass der Investitionsbeschluss nicht satzungsgemäss zustande gekommen ist. Seit der Insolvenz hüllen sich die Fonds in Schweigen und haben generell jede Interviewanfrage der Medien abgelehnt.
Und ausgerechnet ein ganz bestimmter hielt sich abseits, ausgerechnet er
Ob von der Regierung aufgefordert oder nicht, jedenfalls bildeten die AP-Fonds No. 1 bis 4 den gemeinsamen Fonds 4-to-1-Investments und stiegen bei der „heißesten Investition des Jahres“ mit insgesamt 5,8 Mrd. SEK (etwa 530 Mio. Euro) ein. Das sind 0,3% des gesamten Rentenvermögens. Sehr fraglich, ob davon noch was zu retten ist. „Wir rechneten mit einer Rendite von 15%, außerdem war von einem Börsengang die Rede,“ sagte ein paar Tage vor dem Gang in den Konkurs Niklas Ekvall, Geschäftsführer des 4. AP-Fonds, laut Svenska Dagbladet. Zu diesem Investitionsbeschluss fällt auf, dass der auch hierzulande gut bekannte AP7-Fonds, der ausdrücklich den Auftrag hat, sich mit risikoreicheren Assets zu befassen, bei Northvolt auf Distanz blieb.
Doch es geht auch ohne
Auch ohne jeglichen Verdacht von Regierungseinmischung waren nordische Pensionsinvestoren offenbar von der Euphorie um „Europas führenden Batteriehersteller“ mitgerissen worden. Die schwedische AMF, zu gleichen Teilen im Besitz des Gewerkschaftsbundes Landsorganisationen i Sverige (LO, entspricht dem deutschen DGB) und des Wirtschaftsverbandes Svenskt Näringsliv und mit ca. 850 Mrd. SEK Kampfgewicht die Beiträge zur Betriebsrente der Arbeiter verwaltend, stieg mit 1,9 Mrd. Kronen (etwa 173 Mio. Euro) ein, was satte 3,1% des Aktienkapitals von Northvolt ausmachte. Die Schweden wurden aber noch übertroffen von der dänischen ATP Arbejdsmarkedets Tillaegspension, die Zusatzversicherung des Arbeitsmarktes. Sie zeichnete für 2,3 Mrd. dänische Kronen (etwa 308 Mio. Euro), entsprechend 5,3% der Anteile. Alle drei Rentenkapitalverwalter – AP 4-to1, AMF und ATP – findet man damit unter den zehn größten Northvolt-Investoren.
Holzweg von Beginn an
Schweden – nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Politik – befindet sich derzeit in einer Art Schockzustand. Der Glaube an eine erfolgreiche Zukunft der Batterieindustrie und an einer glorreichen Führungsposition in Europa war so groß, dass der Absturz jetzt desto härter trifft. Auch wenn es warnende Stimmen gab – sie wurden ignoriert.
Sogar als sich das Unternehmen im November 2024 unter den Konkurs-Schutzschirm des US-amerikanischen Chapter-11-Verfahrens begab, schwiegen die Sturmglocken. Dass Volkswagen sich als größter Aktionär aus dem Aufsichtsrat verabschiedete und BMW einen Großauftrag kündigte, wurde registriert, aber weiter wurde kolportiert: „Wir sind auf dem richtigen Weg, Northvolt hat einen viel besseren Schwung in die Produktion bekommen“. Das sagte noch am 25. Februar die Geschäftsführerin des AP1-Fonds, Kristin Magnusson Bernard, in einem Interview mit dem SvD.
Die Realität beschreibt Henrekson so: „Es war von Anfang an falsch, 100 Mrd. Kronen in ein neu gestartetes Unternehmen zu investieren, das über keine fertige Technik zum Bau von Batterien verfügte.“ Und dann expandierte man viel zu schnell, baute Giga-Fabriken in Schweden, Deutschland und Kanada, ohne auch nur annähernd in der Nähe der Prämisse zu sein, Batterien zu bauen, die „von der Grube bis zum Endprodukt“ in eigener Regie hergestellt werden, so der Wirtschaftswissenschaftler.
Wo Schatten ist, da ist auch Licht – eines zumindest
Laut schwedischen Medien gibt es in dieser Pleite auch einen Gewinner: Peter Carlsson. Er verkaufte „rechtzeitig“ Northvolt-Aktien im Wert von 200 Mio. SEK (ca. 19 Mio. Euro), während Mitarbeiter, die zum Aktienkauf animiert worden waren, diese Möglichkeit aus Vertragsgründen so offenbar nicht hatten. Der Ex-Vorstandsvorsitzende bei der Konkurs-Pressekonferenz von einem Reporter des schwedischen Rundfunks darauf angesprochen: „Darauf antworte ich nicht, was für eine dumme Frage!“
Fazit: Auch, wenn die Fondsverantwortlichen stets beteuert haben, dass sie ihre Entscheidungen aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen heraus getroffen haben wollen, lautet die Moral von der Geschicht’ wie? Als Pensionsinvestor investiere in trend-, politik- oder subventionsgetriebene Geschäftsmodelle nicht!

Das zu einer heutigen Zwischen-Headline anregende Kulturstück findet sich hier.
Reiner Gatermann ist Deutscher, lebt und arbeitet aber seit rund fünf Jahrzehnten in Stockholm und war von 1980 bis1985 und von 1999 bis 2007 (dazwischen in London) der Nordeuropa-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt.
In der Reihe Stockholm Live von Reiner Gatermann sind bisher auf ALTERNATIVES●INDUSTRIES / PENSIONS●INDUSTRIES erschienen:
Stockholm Live (VII): Stockholm Live (VI): Stockholm Live (V): Stockholm Live (III): Statens årskullsförvaltningsalternativ (II): Statens årskullsförvaltningsalternativ (I):
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