Neue Regierung, alte Aufgaben, das gilt nicht zuletzt in der Altersvorsorge wie in der Asset Management-Industrie. Doch die bisherigen Absichtserklärungen sind ebenso unklar wie insuffizient. Umso mehr Klartext redet der BVI-Chef: über einen Prozess und reine Bürokratie, wo das Mitspracherecht fehlt, was diffus bleibt, wo privatem Kapital planwirtschaftliche Verteilung droht, was auf der Strecke bleiben könnte, wo Skepsis angebracht ist, was ein schlechter Deal für alle wäre, wo Naivität herrscht, was gefährlich ist, wo mit wenig Fortschritt zu rechnen ist und der politische Druck fehlt, wer wo eine umso wichtigere Rolle in den Verhandlungen spielt und mehr … Ein Gespräch mit Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI.
Thomas Richter, zunächst ganz grundsätzlich: Wie bewerten Sie die industrie-, wirtschafts- und vorsorgepolitische Perspektive des Investment- und Fondsstandortes Deutschland unter der neuen Bundesregierung angesichts des Koalitionsvertrages und der kundgetanen Absichten, also v.a. Auflösung der Schuldenbremse, Sondervermögen, Infrastruktur, Steuerüberlegungen …?
Wir sind vorsichtig positiv, was den Koalitionsvertrag angeht. Immerhin findet sich auf den 146 Seiten zum Beispiel ein klares Bekenntnis zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland sowie zur Reform der Riester-Rente.
„Es ist kaum vorstellbar, dass Profianleger ohne Mitspracherecht Kapital in die Hände des Staates geben.“
Gehen wir etwas in die Details: Wie bewerten Sie die Absichten der beiden Koalitionspartner in Sachen Infrastruktur? Sie sprachen angesichts des avisierten „Deutschlandfonds“ in einem Statement von „Planwirtschaft“. Begeisterung ist anders, denke ich. Was kritisieren Sie, was hielten Sie für richtig?
Es ist gut, dass die Regierung für die Finanzierung der Infrastruktur privates Kapital nutzen und Investitionen von Fonds fördern will. Allerdings ist die Umsetzung noch völlig vage. Zum Beispiel ist offen, woher das private Kapital kommen soll. Der Staat will 10 Mrd. Euro Eigenmittel z.B. durch Garantien in einen Deutschlandfonds geben, der mindestens weitere 90 Mrd. Euro privates Kapital einsammeln soll für den Ausbau von Infrastruktur, Wohnraum und Start-ups. Woher aber soll das private Kapital kommen?

Es ist kaum vorstellbar, dass Profianleger Kapital in die Hände des Staates geben würden, ohne ein Mitspracherecht über die finanzierten Projekte zu haben. Vermutlich werden Projekte mit der Gießkanne finanziert. Der Prozess wird reine Bürokratie mit Antragstellung, Genehmigungsverfahren und Auszahlung zum Beispiel über die KfW. Und ein großer Teil wird wohl nicht marktwirtschaftlich investiert werden. Möglicherweise zielt der Staat auch auf Privatanleger ab. Aber auch hier ist die Umsetzung unklar: Soll für Sparer ein staatliches Produkt kreiert werden, ähnlich wie es für die private Altersvorsorge diskutiert wurde? Will der Staat mit Banken oder Versicherungen im Vertrieb konkurrieren? Das ist alles diffus. Grundsätzlich lehnen wir die planwirtschaftliche Verteilung von privatem Kapital ab.
Wie verhält sich dieser Deutschlandfonds zu dem Zukunftsfonds, dieser Win-Intiative? Und wenn die Autoren des Koalitionsvertrages dort von „Hebel“ reden: Ich verstehe unter einem Hebel immer Leverage per Fremdkapital. Heißt das, dass die Bundesregierung für ihren Fonds Fremdkapital einsammeln will? Dann kann sie doch einfach ein paar mehr Bunds emittieren als sonst. Oder meinen die Eigenkapital, verstehen aber den Begriff des Hebelns gar nicht? Ich habe jedenfalls keine Ahnung. Und fürchte ein wenig: Die auch nicht. Können Sie mir helfen?
Nein, ich habe auch keine Ahnung. Bislang gibt es keine exakte Abgrenzung des geplanten Deutschlandfonds vom Zukunfts- bzw. Wachstumsfonds, der noch von der Merkel-Regierung initiiert wurde. Und wie schon gesagt: Wie der neue Deutschlandfonds von 10 auf 100 Mrd. Euro „gehebelt“ werden soll, also woher die 90 Mrd. Euro kommen sollen, liegt völlig im Nebel.
„Von 100 Euro, die deutsche Investoren über deutsche Masterfonds in Infrastruktur investieren, werden höchstens 10 Euro in inländische Projekte investiert.“
Überhaupt die Private Markets und die Alternatives: Auch hier wirkt Deutschland im internationalen Vergleich etwas zurückgeblieben. Was schlagen Sie vor? Die Briten z.B., losgebunden frei von der EU-Regulierung, liberalisieren gerade ihre Vorschriften.
Der Fondstandort Deutschland hat massive Standortnachteile bei PE-Fonds. Vor allem das Steuerrecht zwingt sie häufig, ins Ausland zu gehen. Damit fließt auch das deutsche Kapital ab. Nach unseren Schätzungen werden von 100 Euro, die deutsche Investoren über deutsche Masterfonds in Infrastruktur investieren, höchstens 10 Euro in inländische Projekte investiert. In unserer „Manager Home Bias“-Studie zeigen wir, dass Portfoliomanager den Aktienanteil ihres Heimatlandes um ein bis zwei Prozentpunkte übergewichten.
Das bedeutet: Wenn jeder Fonds aus unserer Stichprobe, der in den 27 Mitgliedsländern vertrieben wird, zumindest einen in der EU ansässigen Fondsmanager hätte, wären insgesamt zwei bis drei Mrd. Euro zusätzliche Investitionen in der EU möglich. Der Effekt wird bei Infrastrukturfonds, Private-Equity- und Venture-Capital-Fonds stärker sein, da die Nähe zur Investition eine wesentlich größere Rolle bei der Informationsbeschaffung spielt. Das nicht erlassene Zukunftsfinanzierungsgesetz II sollte einen Teil der Wettbewerbsnachteile des hiesigen Fondsstandortes abbauen. Die neue Koalition sollte diese Maßnahmen rasch umsetzen und auch Lösungen für die weiteren Wettbewerbsnachteile erarbeiten, zum Beispiel bei der steuerrechtlichen Behandlung der grenzüberschreitenden Verwaltung von Investmentfonds.
Thema private Altersvorsorge: Ich habe die Idee der Frühstart(r)ente, so bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden, begrüßt, weil ich mir davon eine Entwicklung zu mehr Bewusstsein der Deutschen als Asset Owner verspreche – m.E. vorsorge- wie industriepolitisch seit Jahrzehnten überfällig. Sie sind da weniger optimistisch. Warum? Und was müsste passieren?
„Die dringend erforderliche große Reform der Riester-Rente könnte auf der Strecke bleiben …“
Zunächst, die Frühstart-Rente ist keine klassische Altersvorsorge. Die eigentliche Idee ist vielmehr Finanzbildung. Der Staat will für jedes Kind zwischen 6 und 18 Jahren monatlich 10 Euro in ein Depot einzahlen. Die Kinder und Jugendlichen sollen Erfahrungen am Kapitalmarkt sammeln und lernen, dass sich langfristiges Sparen zum Beispiel in Aktienfonds lohnt. Aber ich bin skeptisch. Schauen Sie sich das VL-Sparen an. Dort zahlen Arbeitgeber ihren Angestellten bis zu 40 Euro monatlich für die Vermögensbildung, bis zu bestimmten Einkommensgrenzen sattelt der Staat noch eine Arbeitnehmer-Sparzulage darauf. Das sind Erwachsene, nicht Achtjährige, und es gibt keinen Beleg, dass sie ihr Investment regelmäßig verfolgen und sich dadurch motivieren lassen, eigenes Geld am Kapitalmarkt anzulegen.
„… und ein Gimmick kann das Altersvorsorgeproblem nicht lösen.“
Sollte die Frühstart-Rente aber, wie der Name befürchten lässt, kein Finanzbildungsprojekt, sondern Altersvorsorge sein, könnte die dringend erforderliche große Reform der Riester-Rente auf der Strecke bleiben. Schon zeitlich würde es eng werden. Und die Gegner eines Altersvorsorgedepots werden einwenden, die Frühstart-Rente investiere bereits in Fonds und verzichte auf den Garantie- und Verrentungszwang, so dass bei der Riester-Rente nur geringe Anpassungen wie zum Beispiel eine leichte Absenkung der Garantien nötig seien. Aber: Ein Gimmick wie die Frühstart-Rente mit diesen minimalen Einzahlungen nur für Kinder und Jugendliche kann das Altersvorsorgeproblem nicht lösen. Wenn am Ende ein Finanzbildungsprojekt die Reform der privaten Altersvorsorge verhindert hat, dann haben wir nichts gewonnen. Dann ist das ein schlechter Deal für alle.
Und die bAV? Wie bewerten Sie hier Lage und Perspektive? Die bAV hat im Koalitionsvertrag ja immerhin satte 5 1/4 Zeilen Raum eingeräumt bekommen. Und wie es aussieht, sind nach dem BMAS in der alten Regierung in der neuen nun BMAS und BMF gleichermaßen in SPD-Hand. Was wird das für die deutsche Vorsorgepolitik der nächsten Jahre bedeuten?
Auch hier: Im Koalitionsvertrag findet sich über das übliche Bekenntnis zur betrieblichen Altersversorgung hinaus nichts Konkretes zur zweiten Säule. Tatsache ist aber, dass die Alterseinkünfte in Deutschland nur zu rund sieben Prozent aus der zweiten Säule stammen. Um sie zu stärken, müssten bestehende Zwänge gelockert und Verbreitungshindernisse abgebaut werden. Das Sozialpartnermodell müsste geöffnet und ohne zwingende Beteiligung der Gewerkschaften durchführbar sein. Die letzte Regierung hatte mit dem Entwurf für ein Betriebsrentenstärkungsgesetz II bereits einige Verbesserungen auf den Weg gebracht.
THOMAS RICHTER ist seit 2010 Hauptgeschäftsführer des BVI.
Der Rechtsanwalt, JG ’66, war nach dem Studium von Jura und Französisch in Frankreich und Augsburg in einer Anwaltskanzlei in Toronto tätig und ist geprüfter Börsenhändler und Investment Analyst DVFA/CEFA.
Von 1995 bis 1998 arbeitete Richter bei der Deutsche Börse AG und anschließend bis zum Jahre 2007 in leitenden Positionen bei der DWS. Von 2007 bis 2010 war er Mitglied der Geschäftsführung der DWS und Mitglied des Vorstands des BVI.
Außerdem ist Richter Mitglied des Verwaltungsrats der BaFin, Mitglied der ESMA Securities and Markets Stakeholder Group und Mitglied im Beirat Marktbeobachtung Finanzen des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Zudem ist er im Vorstand des europäischen Fondsverbands EFAMA und des Weltfondsverbands IIFA.
Dieser wurde jedoch durch das Platzen der Ampelkoalition gestoppt, wie auch das Altersvorsorgedepot in der dritten Säule. Ich erwarte in der betrieblichen Altersversorgung unter der neuen Regierung nicht viel Fortschritt. Der politische Druck ist nicht sehr stark, umso mehr als das BMF und das BMAS SPD-geführt sind. Zudem spielen die Gewerkschaften eine wichtige Rolle in den Verhandlungen.
Thema Industriepolitik: Es ist auffallend, dass Deutschland im Vergleich zu seiner Bedeutung als Industrienation und vielen Jahrzehnten als Exportweltmeister heute über im internationalen Vergleich bescheidene Strukturen im Asset Ownership einschließlich Pensions als auch in der Asset Management-Industrie verfügt, und das sogar in Relationen zu an sich kleineren Staaten wie Frankreich, das übrigens auch nicht auf allen Politikfeldern immer über zu viel Good Governance klagen kann. Wie erklären Sie sich das, und was müsste passieren?
Vorneweg, Deutschland ist der größte Fondsmarkt in Europa und damit größer als Frankreich, im Übrigen auch größer als England. Bei den Marktakteuren haben Sie aber recht, da liegen die Franzosen vorne. Das liegt daran, dass Frankreich anders als Deutschland schon immer Industriepolitik betrieben hat. Amundi ist heute mit über 2 Bio. Euro verwaltetem Vermögen der größte europäische Asset Manager – sofern man die Allianz mit der US-Tochter Pimco außen vorlässt – und nicht einfach so entstanden. Der Konzern hat sich mit dem Segen der französischen Regierung durch mehrere Fusionen innerhalb Frankreichs und Übernahmen im Ausland zum Beispiel von Pioneer gebildet. Und inzwischen formiert sich in Frankreich mit der Übernahme von Axa Investment Managers durch BNP Paribas schon der nächste Branchenriese, sicher auch nicht ohne Zutun der französischen Regierung.
„Deutsche Fondsgesellschaften tauchen in diesem Ranking gar nicht mehr auf.“
Und in Deutschland?
Herrscht die Haltung: Der Markt regelt das schon. Ich halte das für naiv, besonders bei Fondsgesellschaften dieser Größe. Im Jahr 2008 wurde die Rangliste der 15 größten europäischen Asset Manager noch von einer europäischen Gesellschaft, von Barclays, angeführt. Insgesamt spielten noch sechs rein europäische Asset Manager in dieser Liga mit. Heute beherrschen US-Amerikaner den europäischen Fondsmarkt, angeführt von BlackRock, Vanguard und Fidelity. Die Zahl der rein europäischen Asset Manager unter den größten 15 in Europa hat sich auf drei halbiert, wobei Amundi als größter europäischer Player nur Platz 9 belegt. Deutsche Fondsgesellschaften tauchen in diesem Ranking gar nicht mehr auf. Das ist gefährlich, so wird man zum Ziel von Übernahmen. Denn die Fondsbranche befindet sich im Konsolidierungsprozess, der vor allem durch schwindende Margen vorangetrieben wird. Und wenn wir einmal zusätzlich schwindende Asset-Preise erleben, dann sieht es mit den Gewinnen der Asset Manager nicht mehr so rosig aus.
„Industriepolitik gibt es gar nicht.“
Was tut not?
Ich rufe nicht nach dem Staat. Er soll Fusionen nicht managen und nicht als Private Equity-Manager agieren. Es würde schon reichen, wenn er die Marktakteure an einen Tisch bekommt. Jörg Kukies, damals Staatssekretär im Finanzministerium, hatte sich für ein Zusammengehen von Deutscher Bank und Commerzbank eingesetzt und war gescheitert. Jetzt wird die Commerzbank vielleicht von Unicredit übernommen. In Deutschland fehlt eine finanzpolitische Strategie, und Industriepolitik gibt es gar nicht. Können Sie sich noch an Hoechst erinnern?
Bestens. Seit jeher mein stetes Lieblingsbeispiel für die Smartheit deutscher Industriepolitiker.
Das war mal ein Weltkonzern der Pharmaindustrie. Das Unternehmen wurde nach Frankreich verkauft und das Management dafür auch noch gefeiert. Fahren Sie heute mal nach Höchst.
Mehr zu dem zur heutigen Headline anregenden Kulturstück findet sich hier.