… an Real Assets bleiben auf der Agenda institutioneller Investoren: Über die Ursünde, inwiefern sich geringe Reserven auszahlen konnten, wer welches Programm still beerdigt hat, was ökonomischer Unfug war und heute nur noch Manövriermasse ist, wer durch Erträge und Diversifikation wieder als Puffer dienen kann, was nicht adäquat kompensiert wird, wo es nicht so schlimm kam wie befürchtet, wen man sich fast aussuchen kann – und über den Krieg und den Frieden sprachen Fachleute jüngst in Köln am Rhein. Jochen Hägele war dabei.
Köln, 12. September. Am Rhein treffen sich über 150 institutionelle Investoren und Asset Manager auf dem Faros Investoren Summit 2024: „Erfolgreich investieren in unsicheren Zeiten.“ Auf der Agenda also das Steuern von Portfolios durch das unstete wirtschaftliche und geopolitische Umfeld. Zu bereden gab es in der Tat genug:
Die Ausnahme als Dauerzustand – mit abruptem Stopp
Viele Jahre galt an den Finanzmärkten der quasi-permanente Ausnahmezustand. Über einen Großteil der 2010er-Jahre hinweg kratzten die Renditen konservativer Anleihen gerade an der Nulllinie, institutionelle Investoren mussten sich immer weiter ins Risiko lehnen, um positive Erträge zu erzielen.
Dann der Inflations- und Zinsschock ab 2022 und mit ihm der Crash der Anleihen. Heute liegen die nominalen Renditen am Rentenmarkt deutlich im positiven Bereich, doch Institutionelle sehen sich weiter mit großen Herausforderungen und Unsicherheit konfrontiert. Dazu türmt sich hinter den Unwägbarkeiten bei Wirtschaft, Preisentwicklung und Zinsen eine neue Bedrohungskulisse auf: Denn spätestens mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist die Geopolitik mit Macht auf die Landkarte der Investoren zurückgekehrt.
Das zeigte auch die TED-Umfrage zu Beginn des diesjährigen Faros Investoren Summit: Die klare Mehrheit der Teilnehmer erwartet, dass die Geopolitik ihre Anlageentscheidungen in den kommenden zwölf Monaten beeinflussen wird. Auf dem Eröffnungspanel diskutierten führende institutionelle Anleger und Asset Manager, wie sie ihre Portfolios darauf einstellen und wie sie mit den Folgeschäden des Zinsschocks umgehen.
Geopolitik: wer hätte gewinnen sollen, wer uns beobachtet, wer zu wenig Willen hat …
Den Auftakt der Diskussion setzt Keynote-Sprecher Ben Hodges mit seiner Einschätzung zur US-Präsidentschaftswahl am 5. November und geostrategischen Aspekten. Der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa betont die Bedeutung der Wahl gerade vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen zwischen den westlichen Demokratien und den autoritären Regimen etwa in Russland und China. Gegenüber diesen hält er entschlossenes Auftreten für entscheidend. Dass Russlands Präsident Wladimir Putin vor mehr als zwei Jahren überhaupt den Überfall auf die Ukraine wagte, ist für Hodges eine Folge versagender Abschreckung. Der Westen habe das aggressive Verhalten Putins viel zu lange nahezu ungestraft toleriert.
Mangelnder politischer Wille zieht sich für ihn auch seit Kriegsausbruch durch das westliche Handeln, denn sonst hätte die Ukraine seiner Überzeugung nach den Krieg bereits vergangenes Jahr gewinnen sollen. Gerade China beobachte zudem sehr genau das Verhalten des Westen, und der Ex-General warnt: Wenn der Westen die Ukraine im Stich lässt, hätte das auch Auswirkungen auf Chinas Verhalten im Pazifik, wo Peking seine machtpolitischen und hegemonialen Ambitionen immer aggressiver unterstreicht.
… und was die Basis für die US-Wirtschaft ist
Für Hodges liegt die richtige Antwort in der Demonstration der Stärke: Er befürwortet weitreichende Waffenlieferungen und warnt davor, sich von Putins Drohungen einschüchtern zu lassen. Zudem gelte: Jeder Zweifel an der Entschlossenheit einer neugewählten US-Regierung, die NATO-Bündnisverpflichtungen im Ernstfall wirklich einzuhalten, sende ein Signal der Schwäche und beeinflusse das Verhalten der Gegenseite.
„Nicht einschüchtern lassen!“
Dabei sei die Unterstützung der Ukraine und Sicherheit in Europa auch im eigensten US-Interesse. Hodges: „Stabilität und Sicherheit in Europa sind wichtige Voraussetzungen für wirtschaftliche Prosperität, und Europas Prosperität als wichtiger Handelspartner ist eine Basis für die US-Wirtschaft.“
Wie alles anfing – und der Schock wirkt weiter
Während die politischen Risiken immer stärker auf die Agenda der Investoren treten, wirken auch noch die Spätfolgen der Niedrigzinsen sowie des folgenden Preis- und Zinsschocks nach. Und der hängt auch mit der neuen geopolitischen Realität zusammen, denn:
Neben den Folgen der Corona-Pandemie trieb vor allem der Rohstoffpreisanstieg in Folge des russischen Angriffs die Teuerungsraten in die Höhe. Raik Mildner, Vorstand bei der HanseMerkur Versicherungsgruppe, geht bei der Ursachenforschung des Zins- und Inflations-Tsunamis 2022 zurück bis zur Subprimekrise ab 2008 und dem Lehman-Kollaps: Im Kampf gegen die Krise dehnten die Notenbanken mit Niedrigzinsen und massiven Anleihenkäufen die Geldmenge immer weiter aus und legten damit die monetäre Basis für die Teuerungswelle ab 2022. Für Mildner war das rückblickend „die Ursünde“.
Sachwerte statt stiller Reserven
Dass sich die expansive Geldpolitik irgendwann auch in den Verbraucherpreisen niederschlagen würde, stand für ihn rasch fest. Bereits früh stellte man sich bei HanseMerkur daher auf die Rückkehr der Inflation ein und implementierte etwa eine erfolgreiche Sachwertstrategie – während man bei der Duration im Zinsbestand eher vorsichtig blieb.
„Ich bezweifele, dass die Inflation dauerhaft in die Komfortzone der Zentralbanken sinkt.“
Während andere Versicherer in den 2010er Jahren hohe stille Reserven bildeten, seien die Reserven der HanseMerkur auch auf Grund der geringeren Duration vergleichsweise überschaubar geblieben, so Mildner. Doch als die Inflation dann wirklich anzog und sich die stillen Reserven bei vielen Häusern zu stillen Lasten wandelten, zahlte sich die Strategie schließlich aus.
Die Zahnpasta bleibt aus der Tube, die Inflation außerhalb der Komfortzone
An der vorgegebenen Stoßrichtung hält Mildner auch im aktuellen Umfeld grundsätzlich fest, und er bezweifelt, dass die Inflation dauerhaft in die Komfortzone der Zentralbanken sinkt. Global seien seit der Finanzkrise 2009 rund acht Bio. US-Dollar an neuem Geld erzeugt worden, so Mildner, doch diese enormen Geldmengen hätten die Notenbanken nicht wieder eingesammelt.
Nur Reales ist Wahres – und wenn die Duration zum Unfug wird
Wohl nicht ohne Grund habe auch der Bund Ende 2023 sein Emissionsprogramm für inflationsindexierte Bundesanleihen still und leise per knapper Pressemitteilung beerdigt. Für Mildner deutet alles in eine Richtung: „Wir sind raus aus dem disinflationären Umfeld der 2010er Jahre.“ Entsprechend gelte es sich in der Asset Allocation aufzustellen: Gerade reale Anlagen seien in diesem Umfeld interessant.
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Einen Fokus auf Realwerte setzt auch Wolfram Gerdes, Mitglied des Vorstands der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse Rheinland-Westfalen. Die KZVK hielt auch in der Niedrigzinsphase an einer durchschnittlichen Duration von rund sechs Jahren fest. Dies half laut Gerdes, die Auswirkungen des Jahres 2022 im Anleihenbestand etwas abzufedern.
„Investoren müssen realen Ertrag erwirtschaften, um ihren gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen.“
Die hohen Durationen gerade bei Niedrig- und Negativzinsen sah Gerdes bereits früh kritisch: „Ich habe nie an das Narrativ geglaubt, dass die Duration für Versicherer gar nicht lang genug sein kann“. Dahinter steckt für ihn letztlich das Kalkül: Wenn die Verbindlichkeiten viel Geld verlieren, verliert auch die Kapitalanlage viel Geld. Bei langfristigen Effektivzinsen von null Prozent die Duration immer weiter nach oben zu schrauben, grenze nahezu an „ökonomischen Unfug“.
Ist der beste Fall jetzt besser?
Doch Gerdes kann Rentenpapieren auch auf aktuell höherem Renditeniveau nur wenig Positives abgewinnen: Im besten Fall würden Anleihen einen Realzins von null Prozent liefern – damit sind sie für ihn keine Investition, sondern eher Manövriermasse. Auch mit Blick auf die nächsten zehn bis 15 Jahre rechnet Gerdes nicht mit positiven realen Erträgen am Rentenmarkt – hält ebensolche aber – ungeachtet der Nominalwertorientierung der Regulatorik – für wichtig: „Investoren müssen einen Realertrag erwirtschaften, um ihren gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen“.
Gute Gründe für Anleihen sieht dagegen Karin Kunrath. In ihrer Funktion als CIO der Raiffeisen Capital Management sieht sie bei Fixed Income auf dem gestiegenen Renditeniveau neben Ertragspotenzial auch wieder sehr gute Diversifikationseigenschaften gegenüber Aktien. Das habe sich zuletzt in der Marktkorrektur Anfang August gezeigt: „Anleihen haben in der Zeit wieder ihre Rolle als Risikopuffer übernommen“, so Kunrath.
Aktiv in der Nische – und die Mischung macht’s
Gerade in zahlreichen Nischensegmenten sieht Kunrath interessante Möglichkeiten. Im Zentrum einer erfolgreichen Anlagestrategie steht ihrer Überzeugung nach immer aktives Management.
„Es gibt auch im Anleihebereich sehr viele unterschiedliche Anlageklassen, in die man investieren kann, wenn es die Regulatorik zulässt“, sagt die Expertin. Das insgesamt attraktivere Zinsumfeld eröffne zudem mehr Freiheiten: Gerade Investoren, die das Risiko tragen können, könnten zu ihrem Anleiheninvestment auch eine gewisse Aktienquote hinzumischen und diese aktiv steuern: „In Summe erreicht man so risikokontrolliert das Ertragsziel“, so Kunrath.
Eine wichtige Rolle für Anleihen bei gleichzeitig interessanten Renditen sieht auch Thomas Mann. Bis vor kurzem habe man 5 bis 6% im US-Dollarraum auf der Zinsseite verdienen können und im Euroraum 3,5 bis 4% über ein Corporate Mandat. Anleihen liefern nach Meinung des Sprechers der Geschäftsführung der Ampega Investment mit ihrer langfristig kalkulierbaren Rendite auch in Zukunft eine wichtige Quelle für laufende und berechenbare Erträge.
Zwischen Spreads und ESG
Gerade die Fixed Income-Marktsegmente mit noch attraktiven Renditeprämien waren in der Niedrigzinsphase besonders gefragt: allen voran Unternehmens- und Schwellenländeranleihen. Und auch mit Blick auf die Zukunft halten die Experten auf dem Podium Schwellenländer fundamental für sehr interessant:
EMD dürfte profitieren, wenn die Staaten wirtschaftlich und bei den Rahmenbedingungen weiter zu den Industriestaaten aufschließen. Allerdings sind die aktuellen Bewertungen ambitioniert – nicht nur in diesem Segment. Überhaupt wird nach überwiegender Meinung der Diskussionsteilnehmer Risiko derzeit im gesamten Spread-Segment von Corporates bis Schwellenländern nicht immer adäquat kompensiert.
Ampega Investment-Chef Mann sagt: „Im historischen Durchschnitt reden wir über sehr niedrige Spreads.“ Gerade Schwellenländeranleihen setzt Raiffeisen-IM-CIO Kunrath in vielen Strategien als eine der Top-Asset-Klassen ein. Die Papiere dürften ihrer Meinung nach kurzfristig zusätzlich von den sinkenden Zinsen in den USA und den damit sinkenden Refinanzierungskosten profitieren.
Positive Renditeerfahrungen hat zwar auch KZVK-Vorstandsmitglied Gerdes mit EMD gemacht, allerdings sieht er den Bereich immer wieder mit ESG-Verstößen auffallen; High Yield in den Industrieländern sei aus ESG-Sicht daher oft die bessere Wahl, so Gerdes. Systemische ESG-Nachteile macht Raiffeisen-CIO Kunrath bei EMD nicht aus, doch gerade Transformationsthemen spielen in ihrem ESG-Ansatz in dem Segment eine große Rolle.
Engagement in der Regulatorik
Auch der regulatorisch bedingte Zinsfokus beschäftigt die Investoren. So mahnt KZVK-Vorstand Gerdes, dass gerade institutionelle Anleger nicht einfach die regulatorisch bedingte Zinszentrierung hinnehmen sollen: Wenn klar sei, dass die Zinszentriertheit der Branche nicht wirklich den größten Nutzen für die Gesellschaft erbringe, müsse man sich als Investor auch politisch in den regulatorischen Prozess einbringen, fordert Gerdes. In anderen Rechtsräumen wie den USA mit den 401K-Plänen sei man bei der regulatorischen Ausgestaltung der Vorsorge deutlich fortschrittlicher, zum Vorteil der Beitragszahler.
Dass man sich mit einer erfolgreichen Strategie auch Freiräume von der Politik und vom Regulierer schaffen kann, betont HanseMerkur-Kapitalvorstand Mildner. Grundsätzlich gelte die Wirkungskette: Höhere Gewinne, mehr Eigenkapital, mehr Luft in der Solvenz und mehr Luft im HGB. Mildner: „Wenn ich es schaffe, einen Mehrertrag mit einer anderen Strategie zu erwirtschaften, steigen natürlich die Handlungsspielräume.“
ESG-Datenqualität – ein weiter Weg
Die Regulatorik stellt Anleger auch bei den Nachhaltigkeits-Anforderungen vor zusätzliche Herausforderungen: Gerdes ist überzeugt, dass sich der Aufwand für Datenerhebung und -abgleich langfristig lohnt. Bereits in den vergangenen zehn Jahren habe die Nachhaltigkeits- und Dienstleistungsindustrie immense Fortschritte gemacht.
Bis zu dem Punkt, an dem Daten vollständig, belastbarer und weitgehend normiert sind, ist es nach Meinung von Ampega-Geschäftsführer Mann aber noch ein weiter Weg. Für Asset Owner stellen sich noch weitere Fragen im Zusammenhang mit der Transformation, so Mann. Etwa, ob es sich lohne, Firmen als Investor auf dem Weg der Dekarbonisierung zu begleiten, auch wenn das kurzfristig das eigene CO2-Profil in der Kapitalanlage belastet. Schwierig werde es immer dann, wenn man an die Entscheidung kommt, ob man bereit ist, Rendite für Nachhaltigkeit zu opfern. „Diese Fragen muss man sich aber stellen“, so Mann. Solche Themen auch nach außen zu kommunizieren, sei eine enorme Herausforderung.
Immobilien: Toplagen und Topqualität gefragt
Die Folgen von Zins- und Inflationsanstieg reichen weit über Anleihen hinaus und treffen insb. den Immobilienbestand, wo bekanntlich teils hohe Bewertungsanpassungen erfolgten. Während Bereiche wie Logistik relativ stabil durch die Krise kamen, wurden Büroimmobilien viel stärker in Mitleidenschaft gezogen. Besonders schlecht steht es um Immobilien schwächerer Qualität in Randlagen. Doch schreiben die Experten den Immobilienmarkt nicht ab:
„Die Toplagen gehen nach wie vor zu Preisen über den Tisch, die man nicht erwartet hätte.“
„Es ist nicht so schlimm gekommen wie befürchtet“, sagt etwa Mildner. Die Probleme müsse man auch im Kontext der längerfristigen Entwicklung sehen: Bei Gewerbeimmobilien hätten Investoren gerade mit Toplagen und Topausstattung lange sehr gutes Geld verdient. Und die besten Lagen sind weiter gefragt: „Wir können uns die Mieter fast aussuchen“, so der HanseMerkur-Vorstand.
Das sieht Mann ähnlich: „Die Toplagen gehen nach wie vor zu Preisen über den Tisch, die man nicht erwartet hätte“. Zudem hätten die Mieten auch ein Steigerungspotenzial: Aber: „Wir sehen auch erste Anzeichen, dass nicht mehr jede Miete bezahlt werden kann“, warnt der Ampega-Experte. Mit steigenden Mieten und Indexierung trete die Bonität des Mieters noch stärker in den Vordergrund. Für den Immobilienmarkt insgesamt rechnet Mann mit einer allmählichen Bodenbildung und einem konstruktiveren Ausblick für 2025.
Schlussfolgerungen: Denke in Strukturbrüchen!
Der Immobilienmarkt zeigt exemplarisch, welche Rolle plötzliche Trendbrüche spielen können. Viele Marktteilnehmer habe der Kollaps am Immobilienmarkt völlig überrascht, so Midler, „denn Menschen denken linear und nicht in Strukturbrüchen.“ Das gelte nicht nur am Immobilienmarkt, sondern potenziell in vielen Bereichen, etwa bei Schlüsselindustrien wie der Autoindustrie, der steigenden Staatsverschuldung oder dem deutschen volkswirtschaftlichen Geschäftsmodell insgesamt.
Soweit die Experten auf dem Panel in Köln. Fazit des Beobachters: Angesichts der Unsicherheiten von Geopolitik über Wirtschaft und Nachhaltigkeit bis zu gesellschaftlichen Veränderungen dürfte gerade die Einbeziehung solcher potenziellen Strukturbrüche für institutionelle Anleger in Zukunft bedeutender werden.
Der Autor ist Finanzjournalist in München.